Der Kotau
von Reinhard Göweil
Was die EU-Kommission unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen soeben Europa angetan haben, ist nicht zu messen. Sie mag pragmatisch gehandelt haben für die deutsche Automobilindustrie und die französische Pharmaindustrie, aber ihr Pragmatismus hat ein toxischen Bestandteil: Er ist zu kurz gedacht.
Sie hat Europa einer Idee beraubt, die über Generationen geht und einen Traum darstellt. Was sollen sich nun die serbischen Studierenden und Arbeiter denken, die für Europa auf die Straße gehen? Was sollen sich georgische Oppositionelle denken, ukrainische Kämpfer gegen Russland, was die die moldawische Präsidentin, der rumänische Verfassungsgerichtshof und der Budapester Bürgermeister?
Sie kämpfen für einen Kontinent, in dem Bürgerrechte, Freiheit und Kunst hochgehalten werden; auf Basis liberaler Verfassungen regelmäßig demokratische Wahlen stattfinden; eine bunte Zivilgesellschaft existiert und Kinder gerechte Bildungschancen vorfinden, die sie anschließend in einer fairen Wirtschaft einsetzen können.
Das ist die Bedeutung von Europa. Sie ist der Antipode von Diktatur, Autokratie, Finsternis und Unterdrückung. Dafür lassen sich – auch in Russland und Belarus – Menschen einsperren.
Die EU-Kommissionspräsidentin fährt in dieser Situation in einen Golf-Club, um mit einen allmachts-phantasierenden US-Präsidenten ein bröckeliges Handelsabkommen zu fixieren. Ein Handelsabkommen, das die zwei größten Wirtschaftsblöcke der Welt umfasst, in denen fast ein Drittel des Welthandels abgewickelt wird.
Das ist an sich beschämend genug, aber noch beschämender wird es, wenn wir uns anschauen, wer in diesem transatlantischen Handel, inklusive Dienstleistungen, den Profit macht: 60 Prozent entfallen auf US-Unternehmen. Das bedeutet, dass im Geschäft zwischen EU und USA mehrheitlich Dividenden in den USA landen, dessen Profitbasis aber in Europa sitzt.
Warum die EU einem Handelsabkommen mit den USA zustimmt, das diesem Kapitalabfluss den Stempel gibt, ist offen. Eigentlich sollten US-Unternehmen mehr in Europa investieren als umgekehrt. Wenn das Trump nun umkehren möchte zeugt das von seiner ökonomischen Unkenntnis, die ihm große Anleihe-Investoren attestieren.
Auf Trumps‘ isolationistische Story einzugehen bedeutet für Europa das Aufgeben der eigenen Überzeugungen.
Nun wird argumentiert, dass Europa dem Handelsabkommen zustimmte, um die verteidigungspolitischen Zusagen der USA abzusichern. Für EU-Beitrittswerber ist dies die unverhohlene Einladung, doch gleich mit Washington zu verhandeln und nicht mit Brüssel.
Innerhalb der EU wird das rudimentäre Handelsabkommen mit den USA die politischen Fliehkräfte beschleunigen. Branchen-Industrieverbände reagieren bereits unterschiedlich, die EU-Mitgliedsländer auch. Frankreich, Irland und Ungarn sprechen bereits von Kapitulation. Europa wird noch stärker gespalten, wo Einigung das Gebot wäre.
Auf der Weltbühne steht die EU als klarer Verlierer da. China wird sich richten danach. Und die eher sprunghafte Trump-Administration wird weiterhin überzeugt sein, mit Europa Schlitten zu fahren.
In Russland wird Putin sein Glück gar nicht fassen können.
Eigentlich ist diese EU-Kommission rücktrittsreif, nur die mannigfaltigen Probleme in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht halten sie im Amt. Das politische Beben will sich zurzeit niemand antun in den EU-Ländern.
Also wird in den kommenden Wochen die Erzählung aufrechterhalten werden, dass dies ein Rahmenabkommen ist, das erst im Detail entschärft werden müsse, etwa im Stahlsektor. Ein sehr schwaches Argument, für das es noch dazu keinerlei Hinweis gibt.
Die EU-Kommission hat beweisen, dass sie selbst kein europäisches Selbstbewusstsein hat. Das wäre genau in der jetzigen Situation notwendig gewesen. Der Kotau in einem Trump-Golfclub in Schottland hat nur EU-Zerstörer bestärkt. Im Inneren und im Äußeren.