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Erstellt am 08.04.2020

Backstage – Wie Corona unser Leben verändern wird

von Reinhard Göweil

1. Die unfreiwillige Digitalisierung

Corona hat unser analoges Leben fast zum Stillstand gebracht. Dafür boomen digitale Angebote in Handel, Kommunikation, Kultur, Sport und Bildung. Das Virus schafft, wogegen sich viele vorher wehrten – eine virtuelle Gesellschaft. Ein großer Teil davon wird uns erhalten bleiben, und unser Verhalten dauerhaft verändern. Denn jene Realität, die uns zuvor limitierte, gibt es nicht mehr.

Die Staatsoper öffnet ihr Archiv, wir sehen auf deren Homepage alte Opern-Aufzeichnungen an. Gleiches passiert bei den Theatern und Museen. Raffael-Ausstellung im Netz, Sprechtheater per livestream. Im Einzelhandel entwickeln sich regionale Plattformen, um sowohl kleinen Händlern wie auch kleinen lokalen Produzenten ein digitale „Verkaufsfläche“ zu bieten – abseits der großen Versandhändler. Im Fußball wird es „Geisterspiele“ geben, vor leeren Stadien, aber vor Abertausenden Bildschirmen. Schulen und Universitäten bieten Vorlesungen, Kurse, Prüfungen online an, die Audimax sind leer. Freundes- und Familienkreise finden sich in Skype- und Zoom-Runden zusammen, prosten sich nicht im Kaffeehaus, sondern virtuell zu – und tratschen. Airlines wie die Lufthansa legen ganze Flotten still – Videokonferenzen ersetzen die Reisenden in Wirtschafts- und Politik-Geschäften.

Innerhalb weniger Wochen hat die Digitalisierung einen Sprung gemacht, der Anfang 2020 noch undenkbar war. Microsoft meldet eine Verachtfachung der nachfrage nach den Cloud-Diensten, die Telekommunikationsunternehmen werden überhäuft mit Bestellungen zur Erhöhung der verfügbaren Bandbreite und des Datenvolumens.

Die Angst vor dem Virus hat der Welt innerhalb weniger Wochen eine neue Realität gegeben. Jene Welt, die bisher digitale Ausdrucksformen limitierte, befördert sie nun – eine klassische Schock-Reaktion.

Was davon wird bleiben?

Nehmen wir an, es gibt einen wirksamen Impfstoff gegen die Covid-19-Erkrankung. Das wird viel der Angst nehmen. Aber selbst gegen die Grippe lassen sich – je nach Alter und Beruf – nur zwischen zehn und 60 Prozent impfen. Ohne rigorose Impfpflicht wird es wohl in Zukunft nicht gehen.

Trotzdem lernt die Welt – oder wenigstens Europa – nun kennen, wie Digitalisierung funktionieren kann, aus reinem Selbsterhaltungstrieb.

Plattformen, die sich etablieren, und genügend „User“, egal ob Konsument oder Kunstfreund, anziehen, werden bleiben. Ob dies neue „Kunden“ sind, oder die bestehenden, wird sich erst weisen. Aber die analoge Welt wird durch Corona zweifellos in Teilen durch die digitale ersetzt werden.

Das wird unsere Arbeitswelt verschieben, und zwar in einem deutlich schnelleren Tempo als noch vor kurzem erwartet. Filialen von Banken, Handelsunternehmen und gewerblichen Anbietern, die jetzt wegen Corona zusperren, werden wohl nicht wieder öffnen oder nur zum geringsten Teil.

Home Office wird künftig nicht mehr als unmöglich betrachtet werden, sondern zu unserer Normalität gehören. Auch das verändert die Arbeitswelt enorm. Es werden zu vereinbarten Zeitpunkten erledigte Aufgaben bewertet werden, und nicht wie lange jemand im Büro sitzt. Der wachsende Sektor kreativ Tätiger wird dies durchaus zu schätzen wissen. Wie stark die Veränderung sein kann, zeigt ein banales Beispiel: Derzeit wird vom Arbeitsinspektorat eine bestimmte Quadratmeteranzahl (inklusive Fenster) pro Mitarbeiter festgeschrieben. Das wird es so nicht mehr geben. Auch auf die Sozialversicherungen und deren Prüforgane kommen erhebliche Änderungen zu.

Diese neue digitale Welt kann die Kluft zwischen Stadt und Land verringern, auch dies wird Verkehrsströme neu ordnen. Sie wird aber auch die Generations-Kluft vergrößern. Viele Ältere, und davon gibt es immer mehr, verfügen weder über Zugang oder Fertigkeiten, um damit umzugehen. Hier wird sich die Politik noch einiges einfallen lassen müssen.

Dies sind nur ein paar ungeordnete Gedanken, um darauf hinzuweisen, wie tiefgreifend Corona in unser künftiges Leben eingreifen. Demokratiepolitische Überlegungen kommen noch dazu, aber die würden diesen Rahmen hier sprengen, und werden zu bewerten sein, wenn die Ausgangsbeschränkungen wieder abzubauen sein werden.

Bis dahin: Bleiben Sie gesund!

2. Konjunktur-Einbruch wird schlimmer als bisher befürchtet

Das IHS räumt bereits ein, dass die Prognose vom März (minus zwei Prozent) nicht halten wird.  Mit minus fünf Prozent der Wirtschaftsleistung wäre Österreich noch gut bedient. Für das Budget bedeutet das ein Defizit wenigstens in dieser Höhe, die Schuldenhöhe wird sich wohl wieder Richtung 80 Prozent bewegen. Zur fiskalischen Herausforderung kommen die wirtschaftlichen. Besonders gefährdet sind neben dem Tourismus auch Exportunternehmen der Industrie, da viele wichtige Handelspartner wie Italien regelrecht abschmieren.

Österreichs Wohlstand begründet sich aber auf den wettbewerbsfähigen Industrien und dem Tourismus, beide zusammen machen direkt etwa 40 Prozent der Wirtschaftsleistung aus und indirekt noch viel mehr. Viele kleinere Unternehmen in Gewerbe und Dienstleistung leben von deren Aufträgen.

Für den Sommer-Tourismus wird es wohl heuer eine Delle geben, viele Gäste aus Deutschland und Italien werden sparen müssen, oder bevorzugen aus Gesundheitsgründen Urlaub in Balkonien. Ähnliches gilt für Industrie: Branchen wie die auch heimische Unternehmen wichtige Automobilindustrie in Deutschland und Italien, aber auch Frankreich, werden sich von den Mobilitätsbeschränkungen nicht so schnell erholen, wenn überhaupt.

Eine Schrumpfung der heimischen Wirtschaft um fünf Prozent dürfte daher wohl schon als Erfolg zu werten sein. Das sind 20 Milliarden Euro an Wertschöpfung, die verloren gehen. Jeder Prozentpunkt mehr schlägt mit weiteren vier Milliarden Euro zu Buche.

Die Verschuldung der Republik hätte heuer auf 68 Prozent sinken sollen. Sie kann auf nahe 80 Prozent steigen, wenn das angekündigte Programm über 38 Milliarden tatsächlich abgerufen wird. Denn umgekehrt werden auch die Steuereinnahmen zurückgehen.

Das Steueraufkommen hätte heuer 82 Milliarden Euro ausmachen sollen. Da ist bereits ein pandemisch getriebener Einnahmenrückgang von einer Milliarde drinnen. Das wird nun wohl nicht reichen. Allein die gewährten Steuerstundungen machen bereit da Dreifache aus. Gleichzeitig steigen die Ausgaben für Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit. Das Defizit wird also horrend sein. Der einzige Lichtblick: In anderen Ländern wird es noch schlimmer ausschauen.

Also, bleiben sie wenigstens gesund!