Diese Website verwendet Cookies, um bestimmte Funktionen zu ermöglichen.
Mit der Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden. Alle Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Erstellt am 04.10.2019

Das schwarze Loch – Fremdwährungskredite

von Reinhard Göweil

„Der Gerichtshof erinnert daran, dass die Klauseln über das Wechselkursrisiko aber den Hauptgegenstand eines an eine Fremdwährung gebundenen Darlehensvertrags definieren, so dass jedenfalls ungewiss ist, ob die Aufrechterhaltung des betreffenden Darlehensvertrags objektiv möglich ist.“ Nach diesem Spruch des Europäischen Gerichtshofes zur Beschwerde eines polnischen Kreditnehmers gegen die damalige Raiffeisenbank Polska zittern alle Banken, die dort und anderswo tätig sind. Die spanische Bank Santander, die Nummer 2 am polnischen Markt, verlor schon am Tag vor dem EuGH-Spruch mehr als vier Prozent. Die Situation deutet auf längere rechtliche Auseinandersetzungen hin. Denn hinter dem Spruch steckt die Erkenntnis, dass fehlende Aufklärung bzw. „missbräuchliche Klauseln“ (O-Ton EuGH) zum Wechselkursrisiko bei Fremdwährungskrediten der Darlehensvertrag nichtig ist.

Wie man einen laufenden Kreditvertrag rückwirkend neu in der jeweiligen Landeswährung berechnet, ist vielerorts rechtliches Neuland. In Polen sind die dortigen Gerichte nun damit beschäftigt. Und zwar gut. Am Höhepunkt 2012 bestanden in Polen insgesamt 500.000 Fremdwährungskredit-Verträge, davon etwa 20 Prozent in Schweizer Franken. Der polnische Bankenverband ZBP berechnet das derzeit aushaftende Volumen mit umgerechnet 28 Milliarden Euro, das Risiko für die Banken soll 14 Milliarden betragen. Auf Basis dieser Rechnung wäre das für Raiffeisen ein Risiko von 1,5 Milliarden, das ist mehr als ein operativer Jahresgewinn des Bankkonzerns.

Das Währungsrisiko macht aus biederen Bankkunden Spekulanten

Worum geht es eigentlich? Fremdwährungskredite beinhalten ein Wechselkursrisiko. So sind die Zinsen in polnischen Zloty deutlich höher als im Schweizer Franken, daher rührt die Attraktivität. Als 2015 aber die Schweizerische Nationalbank den Wechselkurs freigab, rauschte der Franken (im Vergleich zum Euro) von 1,50 auf 1,10 bis 1,20. Was bei den Schweizern zu einem Kaufrausch in den benachbarten Ländern Österreich, Deutschland, Frankreich und Italien führte, ist für Franken-Kreditnehmer ein Desaster. Wenn der Franken um 30 Prozent aufwertet, werden aus einer Kreditsumme von 100.000 Euro plötzlich 130.000 Euro. Auch die Frankenkredit-affinen Häuslbauer Österreichs bekamen das zu spüren, überaus negativ.

Noch heftiger vergaben die Banken Fremdwährungskredite in Osteuropa und am Balkan. In Ungarn kostete sie das bereits sehr viel Geld, weil die Orban-Regierung einen Zwangs-Umtausch beschloss, dessen Kosten die Kreditinstitute tragen mussten.

Schwellenländer haben ein richtiges Problem – siehe Argentinien

Dahinter steckt ein weltweit ein noch viel größeres Problem. Im globalen Maßstab lagen 2018 diese Kredite in fremder Währung allein bei den sogenannten Schwellenländern laut Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), der Bank der Notenbanken, bei umgerechnet zirka 3200 Milliarden Euro. Extra hervorgehoben hat die BIZ dabei Argentinien und die Türkei. Im südamerikanischen Land sind viele im Dollar verschuldet, verdienen ihr Geld aber im Peso. Der ist nun über den Sommer mehr als 25 Prozent weniger wert als vorher, um diesen Betrag erhöht sich also die rückzahlbare Summe – millionenfach.

Türkische Haushalte und Firmen sind heftig in Euro verschuldet. Auch dort ein ähnliches Bild: Die lokale Lira hat gegen den Euro im Jahresvergleich etwa zehn Prozent verloren. Die gute Tourismus-Saison hat den Schmerz etwas gelindert, aber das Risiko bleibt.

Unberechenbare Politiker = unberechenbarer Wechselkurs

Genau hier liegt für die BIZ ein potenzielles Problem für größere Banken. Wenn viele Menschen ihre Kredite nicht mehr bezahlen können, weil der Wechselkurs verrückt spielt, wird dies zum politischen Problem. Politiker tendieren eindeutig dazu, die Banken zur Kasse zu bitten, und nicht Millionen ihrer Wähler, die sie abstrafen würden.

Die beiden EuGH-Urteile von 2017 und das aktuelle vom Oktober 2019 haben das Zeug, die Rendite von Banken deutlich zu drücken oder sogar Kapitalerhöhungen notwendig zu machen. Das wiederum ist der Kern einer Vertrauenskrise zwischen den Banken. Und wohin die führt, hat die Welt 2008 und 2009 mit Schaudern gesehen.

Und solange es unberechenbare Politiker wie Donald Trump oder Erdogan gibt, unterliegt der Wert einer Währung der politischen Tagesverfassung. Ein tweet genügt mittlerweile, um große Verwerfungen auszulösen, die niemand mehr beeinflussen oder vorhersagen kann. Die Profis nicht und die privaten Bankkunden schon gar nicht.

Bild: Susanne Armberger