Die Anleihewächter zeigen Trump gerade, dass er Deals nicht kann
von Reinhard Göweil
Die USA haben aktuell eine Staatsverschuldung von 37.000 Milliarden US-Dollar, das sind 123 Prozent der Wirtschaftsleistung des mächtigsten Landes der Welt. Der Zinsendienst für diese Last macht etwa 1000 Milliarden Dollar aus. Für Militär und Rüstung geben die USA 900 Milliarden aus, für die Gesundheitsfürsorge (eine Art Mindestsicherungs-Krankenkasse) etwas weniger.
Soweit die Zahlen, die sich ein einzelner Mensch ohnehin nicht vorstellen kann. Das war bisher kein Problem, da der Dollar mit einem Währungs-Weltmarktanteil von knapp unter 60 Prozent die wichtigste Reservewährung der Welt ist. Die wichtigsten Rohstoffe der Welt werden in US-Dollar gehandelt. Alle kauften US-Dollar ohne sich viel dabei zu denken. Selbst das noch unter Präsident Biden für 2025 veröffentlichte Budget-Defizit von 2000 Milliarden Dollar oder 6,5 Prozent der Wirtschaftsleistung regte im Finanzsystem niemand wirklich auf.
Vom Erpresser zum Erpressten
Donald Trump und seine beratenden Apostel haben es in drei Monaten geschafft, diesen Glauben in den US-Dollar zu erschüttern. Nun sind die großen Anleihegläubiger der USA, genannt „Bond Vigilantes“ (Anleihewächter) auf den Plan getreten. Nach seiner Verkündung von Monster-Zöllen, deren Grundlage eine sogenannte Milchmädchen-Rechnung ist (und die eine Beleidigung für Milchmädchen ist) trat er den ungeordneten Rückzug an. 90 Tage würden sie ausgesetzt, weil sich doch manche gefürchtet haben, so der US-Präsident. Sein Handelsbeauftragter sagte kurz darauf, die Zeit würde den Ländern eingeräumt, um mit ihnen Handelsabkommen zu schließen. Nur China wird weiterhin mit prohibitiven Zöllen „bestraft“. Die lassen sich das aber nicht gefallen, sind beim Zollsatz für US-Importe ebenfalls bei irgendwas um 100 Prozent.
Der Mann im Weißen Haus, der „The Art of the Deal“ für sich reklamiert, hat sich damit sehenden Auges ins Eck gestellt. Das ist keine Kunst. Die EU beispielsweise weiß nun, dass er in drei Monaten ein Handelsabkommen aushandeln muss. China weiß es auch. Japan weiß es, das Vereinigte Königreich weiß es. Trump ist vom Erpresser zum Erpressten geworden, denn was passiert nach Ablauf der Frist? Trump könnte nur das desaströse Handelsregime in Kraft setzen.
Was die „Anleihewächter“ wohl wieder zum Verkauf von US-Anleihen bewegen würde, denn dann hat sich ja nichts geändert.
Wer die Anleihe-Gläubiger sind
Was oder wer sind nun diese übermächtigen Anleihewächter? Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Es handelt sich nicht um ein Gremium von Großinvestoren, die sich wie ein Kartell manipulativ absprechen. Es handelt sich eher um eine Art Schwarm-Intelligenz, die alle denselben Markt bespielen – Staatsanleihen.
Wenn Regierungen oder Autokraten politische Entscheidungen treffen, die staatliche Bonität gefährden und/oder der monetären Strategie der jeweiligen Zentralbank zuwiderlaufen, läutet bei großen Anleihekäufern der Alarm. So haben diese Anleihewächter genannten Großinvestoren etwa die naiven fiskalischen Ideen nach dem „Brexit“ der britischen Tory-Premierministerin Liz Truss im Herbst 2022 mit einem Kaufstreik für Pfund-Anleihen beantwortet. Großbritannien stand vor der Staatspleite. Liz Truss musste nach 49 Tagen im Oktober 2022 zurücktreten, weil dem Land der finanzielle Kollaps drohte.
Nun zählen die damaligen Brexit-Hardliner in London und die gegenwärtige US-Administration unter Donald Trump aus europäischer Sicht nicht wirklich zu den Sympathie-Trägern. Sind diese Anleihewächter daher die Guten, die Demokratie, soziale und ökologische Themen hochhalten? Das sind sie nicht. Es handelt sich dabei um sehr rationale Finanzmanager, die bei Ländern Budget-Disziplin, Inflation, Wachstum und Stabilität beobachten. Und durchaus bereit sind, auch Problemländer zu finanzieren, aber halt mit gehörigen Zinsaufschlägen. Es gilt: Je höher das Risiko, desto höher der Zinssatz.
Beispiel Argentinien: Der seit Dezember 2023 regierende Präsident Milei rückte dem maroden hochverschuldeten Land mit der Ausgaben-Kettensäge zu Leibe. Die sozialen Auswirkungen sind verheerend, aber es gelang ihm, Inflation und Defizit stark einzudämmen. Das neue Kreditabkommen mit dem Internationalen Währungsfonds reduziert nun den Zinssatz um fünf Prozentpunkte auf 6,47 Prozent. Für die privaten Groß-Investoren, aus denen sich die „Anleihe-Wächter“ zusammensetzen, gehört damit Argentinien wieder zu den Investitions-Möglichkeiten. Sozialer Kahlschlag wird durchaus akzeptiert, es geht um risiko-minierende Rendite, nicht um Gerechtigkeit.
Der längere Zeithorizont
Im Gegensatz zu den professionellen Aktien-Investoren haben die Anleihe-Käufer allerdings einen längeren Zeithorizont. Es geht hier nicht um Sekundenhandel und Quartals-Dividenden. Wer eine zehnjährige Staats-Anleihe kauft will ansatzweise beurteilen können, was in dem Land in zehn Jahren los sein wird. Damit sitzen sie auf dem großen Hebel: Bei massiven Verkäufen sinken die Kurse. Da die Verzinsung der Anleihe aber fixiert ist, steigen in diesem dynamischen System die Zinszahlungen unmittelbar. Und neue Anleihen, die trotz fallender Kurse zur Staatsfinanzierung begeben werden müssen, haben gleich von Beginn an höhere Zinssätze. Ein Teufelskreis.
30.000 Milliarden Dollar für Zinszahlungen
An dem die Bond-Käufer sehr gut verdienen. Bond steht für das englische Wort für Anleihen, das sind Schuldverschreibungen mit unterschiedlich langen Laufzeiten – ähnlich einem Kredit. Da Staaten das Kapital nicht rückzahlen, sondern nur fortschreiben, indem sie erneut Anleihen auflegen (eine Art perpetuum mobile), verdienen die Investoren vor allem an den Zinsen dafür. Und die sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen.
Die globalen Zinszahlungen für Staatsanleihen machten 2024 zwischen 2,5 und drei Billionen Dollar aus. 2019 lag dieser Wert noch bei 1,5 bis zwei Billionen Dollar. Eine valide Berechnung dafür gibt es nicht, die Zahlen stammen aus Daten von Weltbank, Währungsfonds und OECD. Sicher ist aber eins: In fünf Jahren haben die Anleihe-Gläubiger der Staaten dieser Welt ihre jährlichen Zinseinkünfte um eine Billion gesteigert, das sind 10.000 Milliarden Dollar.
Ein Drittel der Gesamtsumme entfällt auf den Schuldendienst der USA. Und mit der wachsenden finanziellen Macht der Anleihe-Wächter steigt auch deren Selbstbewusstsein.
Donald Trump hat sich folgerichtig mit seiner isolationistischen Wirtschaftspolitik ordentlich vergeigt. Wenn Anfang Juli seine 90-Tage-Frist bei den Strafzöllen ausläuft und es keine Handelsabkommen gibt, werden die Anleihewächter den nächsten Käufer-Streik starten. Und Trump kann dann nur wieder nachgeben, vielleicht eine neue Frist bekanntgeben.
Ob das den ausländischen Gläubigern der Vereinigten Staaten genügen wird, sei dahingestellt. Wie die Laufzeit von Anleihen, schätzen deren Zeichner wenigstens mittelfristige Stabilität und keine unkalkulierbaren Schnellschüsse.
Europa braucht eine umfassende Kapitalmarktunion, sofort
Die Konfrontation mit China befeuert die sinkende Bonität der USA. Wenn es – wie viele Experten fürchten – in Richtung militärischen Konflikt geht, werden alle Großinvestoren versuchen, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Verkauf von US-Anleihen, solange es noch geht, ist eine der Möglichkeiten.
Von jeder Seite betrachtet kann Trump mit seiner aktuellen Politik nur verlieren. Er ist kein Deal-Maker, sondern verursacht nur Zerstörung. Schon jetzt führen seine Zoll-Ideen zu Problemen im US-Exportschlager Luftfahrt- und Raumfahrtindustrie. China geht voll auf Konfrontation. Putin zeigt ihm den Stinkefinger. In Südamerika, dem „Hinterhof der USA“, versteht er sich mit Ecuador und Panama, nicht unbedingt die wesentlichen Player dort. In Afrika sind die USA abgemeldet. Die Kunst des Deals schaut anders aus und die Anleihewächter sehen dies klarer als viele Politiker und wohl auch Trump selber.
Für Europa bedeutet es zweierlei: Es hat die Chance ein „safe haven“ zu bleiben, denn das viele Geld der Anleihe-Investoren muss irgendwohin fließen. Aus Bonitätsgründen steht hier Europa vorne. Das wiederum bedeutet, dass die EZB mit überschaubarem Risiko die Zinsen weiter senken kann. Schon jetzt gibt es enge Abstimmungen mit den Notenbanken in Großbritannien, der Schweiz und Norwegen, die nicht im Euro-Raum sind. Weitere Zinssenkungs-Abstimmungen mit den Währungshütern in Kanada, Australien und Japan werden wohl folgen. Die USA isolieren sich. Das ist der Trump-Deal, wenn ihn niemand dort stoppt. Das ist aber kein Deal, sondern die Aufkündigung von Deals. Für die europäische Politik bedeutet es, die längst überfällige Kapitalmarkt-Union umzusetzen, um dem vielem Geld einen wirklich Gemeinsamen Markt anbieten zu können. Das wäre wenigstens ein Deal mit künstlerischen Ansatz…
Zum Schluss der Zahlensalat: Die größten Gläubiger der USA
Etwa ein Viertel der US-Schulden befinden sich in ausländischen Händen – staatlich, Zentralbanken und private Großinvestoren. Größter ausländischer Gläubiger ist Japan mit mehr als einer Billion, dicht gefolgt von China. Es folgen Investoren aus Großbritannien, Luxemburg und Kanada. (Das kleine Luxemburg sticht hervor, weil in dem Fürstentum viele Finanzgesellschaften angesiedelt sind.) Größter „Einzelgläubiger“ der USA ist die dortige Notenbank. Sie hat etwa 5 Billionen Anleihen in ihren Büchern. Amerikanische Pensions- und Investmentfonds halten zusammen etwa die Hälfte der US-Schuldverschreibungen. Die US-Notenbank Fed hat eine eigene Fazilität für Dollar-Anleihen und würde intervenieren, sprich: kaufen, wenn die Rendite über fünf Prozent steigt, also die Kurse stark sinken. Sonst bestimmen die privaten Großinvestoren den Markt und die Anleihekurse. Das Problem der USA besteht darin, dass sie wegen der ausufernden Defizite bis 2035 bis zu 1,8 Billionen für Zinszahlungen ausgeben wird müssen. Das ist nur mit einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum zu stemmen.