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Erstellt am 23.09.2020

Die oberen 20 Prozent und die Lohnrunde

von Reinhard Göweil

In der bisherigen Debatte bestimmte der „Gender-Gap“ die gesellschaftlichen Spaltungstendenzen, die von der Covid-Seuche ausgelöst wurden. Frauen sind stärker betroffen als Männer. Das stimmt. Das viel größere Problem liegt allerdings im Unterschied zwischen dem geschützten Sektor, also Beschäftigte im öffentlichen Sektor und dem ungeschützten Sektor, also Unternehmen, die sich im Wettbewerb behaupten müssen. Ein Beamter genießt Kündigungs- und Pensions-Rechte, von denen ein normaler ASVG-Versicherter nur träumen kann. Zudem haben die öffentlich Bediensteten mittlerweile die privat Angestellten beim Aktiv-Einkommen überholt. Beamte und Vertragsbedienstete der Wiener Müllabfuhr haben keine Job-Sorgen. Ihren Kollegen bei MAN, die jene Lkw herstellen, mit denen sie täglich fahren, droht die Schließung des Werkes in Steyr und Arbeitslosigkeit. Eine Bedienstete bei einer Bezirkshauptmannschaft, zuständig für Führerscheine, muss sich deutlich weniger Job-Sorgen machen als ihre Freundin aus Schulzeiten, die nun bei einem privaten Autohändler arbeitet. Die Liste ließ sich fortsetzen.

Sparquote steigt deutlich, das ist paradox.

Von den knapp mehr als vier Millionen unselbständig Beschäftigten in Österreich arbeiten 800.000 im öffentlichen Sektor, also 20 Prozent. Dazu gehören auch Beschäftigte in Kammern, Sozialversicherungen, ausgelagerten Unternehmen in öffentlichem Besitz. Das sind jene 20 Prozent, die zu den Corona-Gewinnern gehören. Denn aus diesem Sektor kommt, so Wirtschaftsexperten, die aktuelle Schätzung, dass trotz der größten Wirtschaftskrise seit den Aufzeichnungen die Sparquote in den kommenden Jahren auf zwölf bis 14 Prozent (in Relation zum Volkseinkommen) steigen wird. Der Wert lag 2010 in der Finanzkrise bei 7,3 Prozent.

„Das ist eine untypische Krise“, sagte Josef Baumgartner, Ökonom im Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). „Die Einkommen sinken, aber deutlich geringer als der Konsum, bei dem wir minus sechs Prozent erwarten. Es ist der Staat, der einspringt, vor allem mit dem Kurzarbeitgeld.“

Nicht wenig von diesem Geld scheint auf Giro- und Sparkonten zu landen. Gemeinsam mit den öffentlichen Beschäftigten, die kaum Job-Sorgen zu haben brauchen, werden auch von Besserverdienern Reserven angelegt und nicht ausgegeben. Ob das im Sinn der Erfinder liegt, darf wohl bezweifelt werden.

Budgetdefizit reduziert Spielraum auf Null

Die Lohnrunde zwischen Regierung und Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) wird also – sie wird ja fix stattfinden, sagt Vizekanzler Werner Kogler – ziemlich spannend werden. Spielraum gibt es eigentlich keinen, der Budgetdefizit wird heuer zwischen sieben und zehn Prozent der Wirtschaftsleistung erreichen. Und die wachsende Ungleichheit zwischen geschütztem und ungeschütztem Sektor wird wohl auch gewerkschafts-intern für Spannungen sorgen.

Enorme Spreizung im Handel

Auch der Handels-Kollektivvertrag beinhaltet einiges an Sprengkraft, denn die Branchen haben sich durch Corona überaus unterschiedlich entwickelt. Während es im Lebensmittel- und Sporthandel sowie bei Baumärkten teils schöne Zuwächse gibt, schaut es im Textil- und Schuhhandel recht finster aus. „Der Lockdown und Homeoffice haben das Essen zuhause und alles was mit Wohnen zu tun hat begünstigt. Bei der Kleidung allerdings wurde gespart“, beschreibt Baumgartner die Lage.

Wie hier die Sozialpartner auf einen grünen Zweig kommen, steht derzeit in den Sternen. Es müsste innerhalb des Handels-KV zu einer bisher unbkannten Spreizung kommen. Experten gehen davon aus, dass dies mit Einmalzahlungen zu organisieren wäre.

Inflationsrate ist relativ hoch, aber absolut falsch

Ein weiteres Problem für die Lohnrunde ist die Inflationsrate, also die Teuerung. Sie lag im Juli 2020 in Österreich bei 1,8 Prozent, das ist der Spitzenwert in der Eurozone. Deren Durchschnitt liegt bei 0,4 Prozent, in Deutschland sogar bei null Prozent. Der Abstand ist bemerkenswert, ja eigentlich beängstigend. Tatsächlich ist in Zeiten der Krise und wochenlanger Geschäfts-Schließungen eine so hohe Teuerung in Österreich nicht leicht nachvollziehbar. Experten gehen davon aus, dass die Berechnung in Österreich schlicht ungenau ist. Rabattaktionen und Gutschriften auf Kundenkarten werden kaum bis gar nicht berücksichtigt. Genau diese beiden Preis-Zuckerl sind aber in Österreich deutlich stärker verbreitet als beispielsweise in Deutschland. Eingang in die Teuerungs-Berechnung findet diese nicht, darüber hinaus ist der sogenannte Verbraucherpreisindex ein weitgehend städtischer Index. Das oberösterreichische Seengebiet oder ländliche Teile Kärntens und Salzburgs werden preislich gar nicht erfasst. Wenn also ein leeres Stadthotel in Wien seine Zimmerpreise erhöht, obwohl es keine Gäste hat, erhöht sich die Inflationsrate. Einkaufszentren in kleinen Umlandgemeinden von Landeshauptstädten, die mit erheblichen Preisnachlässen um Kunden buhlen, finden sich dagegen in der Berechnung der Statistik Austria kaum.

Wenn also ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian diese Inflationsabgeltung als Mindestforderung in den Raum stellt, würde sich zweierlei ergeben: Im öffentlichen Dienst würde damit die Sparquote steigen, was wohl nicht die Intention der Gewerkschaft sein kann. Und – wie geschildert – die Inflation liegt deutlich niedriger als die statistische Zahl. Es geht also alles in Richtung unterschiedlich hoher Einmalzahlung, Stichwort: Corona-Tausender.

Industrie zeigt nach Süden, für den Arbeitsmarkt ganz schlecht

All diese Feinheiten waren bisher kein so großes Problem, aber Corona hat die Sachlage völlig verändert. Wenn bei dieser Lohnrunde von den Gewerkschaften wenigstens ein Inflationsausgleich gefordert wird, kommt von Arbeitgeberseite sicher das Argument der fehlenden Datensicherheit.

Und natürlich auch die fehlende Planbarkeit. Die Unsicherheiten rund um die Corona-Ampel, die unklare Situation bei Reisebeschränkungen und die steigenden Covid-19-Infektionszahlen machen es für Firmen schwierig, längerfristig zu planen. Der Abbau von gut bezahlten Industrie-Arbeitsplätzen (etwa bei MAN Steyr) machen Lohnverhandlungen noch einmal schwieriger. Dass bei Österreichs Haupt-Handelspartner Deutschland zwar der Rückgang auf knapp unter sechs Prozent reduziert wurde, kann kein Ruhekissen sein. Dafür werden auch in Deutschland die 2021 erwarteten hohen Plus-Zahlen nach unten korrigiert, und die Strukturprobleme in Deutschlands Automobil-Konzernen werden bei den österreichischen Zulieferbetrieben nicht spurlos vorübergehen.

Home Office-Regelung weit ins Jahr 2021 verschoben

Die Arbeitszeit-Debatte, die in Gewerkschaftskreisen intensiv befördert wird, erleichtert die Sache auch nicht. Umso mehr als niemand genau weiß, was davon zu halten ist und in welchen Branchen sie durchgesetzt wird. Wenn die Grünen eine Arbeitszeitverkürzung für Wiener Gemeindebedienstete fordern, würde der öffentliche Sektor noch einmal besser gestellt werden, was gesellschaftspolitische Fragen der sozialen Gerechtigkeit verschärft. Das von der SPÖ vorgestellte Modell, wonach vier Beschäftigte ihre Arbeitszeit so reduzieren, dass ein fünfter einen Job bekommt, ist für einzelne mit Lohnkürzung verbunden. Und so linear wie es sich anhört, wird sich das nicht umsetzen lassen, vor allem nicht im Dienstleistungs-Geschäft.

Dass die Sozialpartner die Homeoffice-Regelung ins Frühjahr 2021 schieben wollen, zeugt ebenfalls von wenig Vertrauen in die eigene Problemlösung. Eine so wesentliche Neuerung bei einer Lohnrunde 2020 nicht einmal anzugreifen ist fast schon Realitätsverweigerung.

Den Kollektivertragspartnern kann im wörtlichen Sinn der alte Gruß zu wünschen sein: Glück Auf.

PS.: Der alte Gruß wirkte, die Sozialpartner einigten sich gleich bei ersten Runde mit plus 1,45 Prozent ab, die angenommene Inflationsrate. Der Handels-KV wird aber komplexer, und auf die Branchen – wie im Artikel beschrieben – Rücksicht nehmen.

(Artikel aktualisiert am 4. und 20. Oktober 2020.)