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Erstellt am 23.03.2020

Ein Virus, der auch unser Wirtschaftssystem radikal verändert

von Reinhard Göweil

Wenn ein Körper heillos überfordert ist, stellen die wichtigsten Organe ihre Tätigkeit ein. Multiorganversagen als Todesursache. Der Corona-Virus wirkt auf die Wirtschaft ähnlich wie auf den menschlichen Körper. Nur bei bestehenden Vorerkrankungen wird es richtig gefährlich, und wenn es zu viele Menschen betrifft (wie in Italien) sind die Spitäler überfordert, es fehlt an Beatmungsgeräten und an allem. Viele sterben und eine unbesiegbare Angst greift ums sich.

Ökonomische Vorerkrankungen gibt es zuhauf. Die Angst vor einer Überforderung des Wirtschafts- und Finanzsystems ist ganz deutlich an den Börsen zu sehen. Die US-Regierung schenkt jedem Bürger 1200 Dollar. Die US-Notenbank Fed haut 700 Milliarden Dollar in ein Anleihekauf-Programm und senkt die Zinsen um einen ganzen Prozentpunkt. Mehr an Feuerwehr ist kaum vorstellbar, das Feuer an der Wallstreet lodert aber ungebremst weiter. Minus 17 Prozent in dieser schwarzen März-Woche, insgesamt liegen die Aktienkurse derzeit auf dem Niveau von 2016.

In Europa werden riesige Konjunktur-Programme geschnürt, die EU-Kommission setzt die Defizit-Regeln de-facto außer Kraft. Die EZB legt ein 750-Milliarden-Euro Anleihekaufprogramm auf und senkt die Bonitätsregeln. Die EZB kann ab sofort praktisch alle Unternehmens- und Staatsanleihen kaufen, unabhängig von ihrer Bonität vor der Krise.

Billionen für öffentliche Hilfsprogramme, Börsen schmieren trotzdem ab

Der Effekt: Die Börsen schmieren ab. Es wird eine Rezession von schwach geschätzten fünf Prozent erwartet, das wäre eine Verringerung der europäischen Wirtschaftsleistung um 800 Milliarden Euro. Das entspricht etwa der gemeinsamen Wirtschaftsleistung von Österreich, Ungarn, der Slowakei und Tschechien. Das deutsche Ifo-Institut hält es sogar für möglich, dass die deutsche Wirtschaft heuer um 20 Prozent schrumpft, damit könnte niemand mehr umgehen. Denn Italien würde demnach noch stärker abstürzen, und müsste aufgefangen werden, was nur noch mit Tausenden Milliarden Euro zu beziffern ist.

Der Impact ist also gewaltig, die Staaten versuchen mit Kurzarbeit, Arbeitslosen- und Firmen-Unterstützung sowie Notverstaatlichungen das Ärgste zu verhindern. „Koste es, was es wolle“, lautet der Schlachtruf.

Die große Frage wird sein, wie die momentan – durch Corona ausgelöste – Angst beseitigt werden kann. Denn die jetzigen Programme setzen voraus, dass es nach der Bereitstellung eines flächendeckenden Impfstoffs gegen die Covid-19 genannte Erkrankung (wie bei Grippe) wieder so weiter geht wie bisher.

So wird’s nicht weitergehen

Das wird wohl kaum der Fall sein. Davon gehen ganz offenkundig auch die Börsen aus, die allen Mega-Programmen zum Trotz ungemindert weiter abstürzen. Es wird wohl der schwärzeste März werden, den die Aktien jemals gesehen haben.

Der Virus hat Europa schmerzhaft die bestehende Abhängigkeit von asiatischen Vorprodukten aufgezeigt. Es ist nicht anzunehmen, dass die Globalisierung bzw. das was „globale Lieferkette“ genannt wird, in Zukunft so weitergeführt wird.  „Wir müssen die Produktion nach Europa zurückholen“, ist in allen Regierungszentralen zu hören, auch in jenen, die von liberalen Politikern besetzt werden.

Wenn es dann einen Impfstoff geben wird, und Corona den Nimbus der Unbeherrschbarkeit verliert, wird die Klimakrise wieder in den Vordergrund treten. Und auch deren Bekämpfung wird wohl nur mit einer stark reglementierten internationalen Wirtschaft funktionieren. Der Virus wird für viele Regierungen, Parlamente, Konzerne als willkommenes Beispiel dienen, um den Radius des Welthandels künftig deutlich enger zu setzen. Für die europäische Wirtschaft bedeutet das eine Chance, sie hat grosse Teile der Produktion an China und asiatische Länder verloren. Das kann gut funktionieren, da die Digitalisierung viele bestehende Industriearbeitsplätze ersetzt. Dieses Arbeitskräfte-Reservoir hätte bei nach Europa zurückkehrenden Produktionen Chancen.

Euro-Bonds, Helikoptergeld

„Corona ist eine Zäsur“ – kaum ein Satz ist von Ökonomen in den vergangenen Tagen öfter zu hören. Auch die Finanzwirtschaft wird sich umstellen müssen, allen voran die Notenbanken. In der EU wird derzeit ernsthaft diskutiert, sogenannte „Corona-Anleihen“ zu begeben und das Geld den Mitgliedsländern zur Verfügung zu stellen. Das wäre nichts anderes als die sogenannten „Euro-Bonds“, die bisher heftig bekämpft wurden, weil die Länder mit guter Bonität – darunter auch Österreich – Sorge hatten, für „schlechte Schuldner“ (wie Italien) zu haften. Der Corona-Virus lässt zwar derzeit die Grenzbalken innerhalb der EU sinken, bietet aber hier neue Möglichkeiten der Vertiefung und Zusammenarbeit.

Eine andere Möglichkeit wird von vielen als verrückt abgetan, ist es aber beim zweiten Hinsehen gar nicht: Das sogenannte „Helikopter-Geld“. Da würden die Notenbanken das von ihnen gedruckte Geld direkt an Bürger verteilen. Erfunden wurde der Ausdruck vom früheren Chef der US-Notenbank Fed, Ben Bernanke. Er hatte am Höhepunkt der Finanzkrise 2009 gemeint, als die Banken aufhörten Kredite zu vergeben, die Fed könne auch vom Hubschrauber aus Geld einfach abwerfen. Seither wird diese Idee theoretisch diskutiert, von vielen konventionellen Experten als „verrückt“ abgetan.

„Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen“

In Wahrheit sind wir gar nicht so weit davon entfernt: Die EZB kauft nun weitere 750 Milliarden Euro an Anleihen, die Standards dafür wurden abgesenkt. Tatsächlich kauft also die EZB Anleihen von Unternehmen, damit die ihre Verpflichtungen erfüllen und Löhne bezahlen können. Tatsächlich kauft die EZB nun Staats-Anleihen der Euroländer, die damit in der Corona-Krise direkt Geld an die Bürger ausschütten. Ein-Personen-Unternehmen bekommen direkte Unterstützung. Allein in Österreich sind derzeit für die Steuer-Stundungen zehn Milliarden Euro reserviert. Wie viel davon künftig zurückbezahlt wird, weiß derzeit niemand. Aber es bleibt von der EZB geschöpftes Geld, das europäischen Bürgern jetzt direkt zu Gute kommt.

In den USA, in denen die wirtschaftspolitische Trennung zwischen Regierung und Notenbank nicht so explizit ist wie in der EU, verteilt die Regierung im Kampf gegen die Corona-Krise bald Bar-Schecks – bis zu 1200 Dollar pro Person!

„Koste es, was es wolle“

„Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen“, sagte EU-Kommissar Paolo Gentiloni. Es gibt also keine Denkverbote mehr, das ist eine Erkenntnis der Corona-Krise.

„Koste es, was es wolle“, sagte der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz, an sich kein Feind der Schuldenbremse.

Doch die Zahl der Toten, die durch überforderte Gesundheitssysteme deutlich erhöht werden, hat den Politikern vor Augen geführt, dass eine Panik in der Bevölkerung noch viel teurer werden würde. Beispiele wie Italien, aber auch – bisher unterschätzt – Spanien und Großbritannien zeigen, dass ausgehungerte Gesundheitssysteme vor Epidemien oder gar Pandemien kapitulieren.

In Europa ist es daher noch nicht ausgemacht, dass die öffentliche Stimmung in den Panik-Modus geht, was absolut desaströs wäre. In den USA verbreitet sich die Krisenstimmung gerade, ein Drittel der dortigen Arbeitskräfte befindet sich mittlerweile im „home office“. Boeing schrammt an der Pleite, die großen Handelsketten ebenso. Eine Panik in den USA hätte unmittelbare Auswirkungen auf  Europa.

Wenn also nun in den kommenden Wochen Europa ökonomisch stillgelegt wird, und erstmals wohl nicht Banken, sondern Kleinunternehmen aufgefangen werden müssen, ist zu hoffen, dass die Maßnahmen, die wenigstens in der Mittel-Bereitstellung über die Finanz-/Euro-Krise weit hinausgehen, greifen.

Panik ist nach wie vor möglich

Wenn sie das tun ist die Frage, was kommt danach? In der EU, und die pure Vernunft sagt, dass sie das aktuelle Grenzschließungs-Desaster politisch überlebt, wird danach die Debatte losgehen, welche Forschungen, Produktionen und Dienstleistungen am besten innerhalb der Union gehalten oder zurückgeholt werden.

Wenn die Klimakrise ihren berechtigten Platz wieder erhält, wird dies verschärft werden. „Müssen jeden Tag 200.000 Flugzeuge am Himmel sein?, fragte Kardinal Schönborn erst jüngst. Und: „Was will uns Gott damit sagen? Dass er uns die Schöpfung anvertraut, aber nicht zur Verwüstung gegeben hat?“

Auf die Antwort des Himmels dürfen wir gespannt sein, aber dass Airlines mittelfristig nicht in alter Schönheit auferstehen, ist keine kühne Spekulation. Drei von vier Airlines könnten pleite gehen, dazu viele Shopbetreiber auf den Flughäfen dieser Welt.

Regionale Wirtschaft & der Charme des „home office“

Die derzeit „home office“ genannte Tele-Arbeit wird sich auch künftig größerer Beliebtheit erfreuen, weil viele Unternehmen gerade entdecken, dass dies funktioniert. Und vielen Arbeitnehmern wird es ebenso recht sein, wenn ihre Wohnung/ Einfamilienhaus groß genug dafür ist. Das ist weniger in Städten, aber in ländlichen Gebieten häufiger der Fall.

Das wird die Infrastruktur verändern. Im aktuellen Fall ist etwa festzustellen, dass der Wasser- und Stromverbrauch der privaten Haushalte kräftig steigt. Da im produzierenden Bereich beides gerade nicht gefragt ist, fällt das nicht so auf. Die Netzbetreiber sind aufgefordert, sich nicht mehr auf Ballungsräume zu konzentrieren. Regionale Greißler bekommen eine neue Chance, wie auch regionale Plattformen.

Die Zäsur in der Zeit nach Corona wird also deutlich spürbar sein. Dass es ausgerechnet ein Virus ist, der den Weg weist, wie Klima und Digitalisierung in Europa auf einen Nenner zu bringen sind, klingt fatal. Europa wird lernen, dass gemeinsame Entscheidungen in einigen Bereichen gut zusammengehen mit einer Stärkung der regionalen Wirtschaft. Warenströme werden sich verändern.

Was, wenn Notenbanken Schulden einfach streichen?

Der bloße Ansporn, das Wirtschafts- und Finanzsystem ändern zu müssen, hätte allein nicht gereicht. Die Tausenden Milliarden Euro, die zur Aufrechterhaltung des Wohlstandes notwendig sein werden, wird aber die schlichte Frage stellen, ob dieses Geld jemals zurückgezahlt werden kann. Die Antwort lautet: Nie. Wie das geht, vermag niemand zu sagen, obwohl es auch hier eine bestechend einfache Erklärung geben könnte: Die Notenbanken dieser Welt, die alle Schulden kaufen, verzichten darauf. Sie sind nämlich die einzigen Unternehmungen auf diesem Globus, die nicht pleite gehen können. Aber dieser Gedanke ist noch verrückter als Helikoptergeld.

Bild: Susanne Armberger