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Erstellt am 24.05.2019

Staatsräson und Wahlkampf

 

von Reinhard Göweil

 

„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“

Das schrieb 1967 der deutscher Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde. Der Satz klingt banal, aber auch höchste Erkenntnis offenbart sich sprachlich oftmals recht simpel. Das ist auch der Grund, warum Sprache so behutsam zu verwenden ist, weil sie immer etwas auslöst. Rohe Sprache führt die rohen Handlungen. Politiker sind sich dessen oft nicht bewusst. Manche Politiker sind sich dessen bewusst – und verwenden rohe Sprache. Allein dafür sind sie für ihre Jobs ungeeignet.

Wenn also nun debattiert wird, ob der Misstrauensantrag gegen Kanzler Sebastian Kurz am Montag, 28. Mai 2019, abzulehnen ist aus Gründen der Staatsräson oder dem stattzugeben ist aus Gründen der politischen Sauberkeit, stellt sich folgende Frage: Was ist Staatsräson?

Jeder Abgeordnete im österreichischen Nationalrat hat folgenden Eid zu geloben:

„Sie werden geloben unverbrüchliche Treue der Republik Österreich, stete und volle Beobachtung der Verfassungsgesetze und aller anderen Gesetze und gewissenhafte Erfüllung Ihrer Pflichten.“

In Schönwetter-Perioden wird dies gerne vergessen, aber die Eides-Formel ist ohnehin auf krisenhafte Situationen ausgelegt. Wenn sich im Rahmen der Gewaltenteilung der Republik alle an ihre Vorgaben halten, wird es kein Problem geben.

Derzeit haben wir aber ein Problem, ausgelöst durch das Strache/Gudenus-Video aus Ibiza. Ausgelöst, aber nicht entstanden. Wäre Herr Strache weiterhin Oppositionspolitiker hätte das Video eine viel geringere Wirkung entfaltet.

Damit befinden wir uns im politischen Alltag. Sebastian Kurz wird dafür verantwortlich gemacht, diese FPÖ in die Regierung geholt zu haben. Das bringt ihm nun Misstrauen ein.

Faktum ist, dass 2017 die damalige SPÖ mit dieser FPÖ ebenfalls eine Koalition gebildet hätte, da hatten die Herren Strache und Gudenus ihre Ibiza-Aussagen bereits hinter sich. Wenn sich in der FPÖ damals eine andere Denkströmung, zu der angeblich auch Herbert Kickl zählte, durchgesetzt hätte, würde es jetzt eine rot-blaue Regierung geben.

Denn Österreich wählte 2017 eine rot-schwarze Koalition ab, weil viele Österreicher Streit und (vermeintlichen) Stillstand satt hatten, vor allem aber eine jahrzehntelange geübte Praxis, die Talente außerhalb dieser beiden Machtblöcke ausschloss.

Diese Stimmung ist nicht zu unterschätzen, denn es sollte nun eines passieren: Die Abstimmung im Nationalrat zum Misstrauensantrag sollte einfach freigegeben werden. Jede(r) Abgeordnete soll abstimmen wie es seinem Gewissen entspricht, und wie er/sie es den Wählern im Bezirk erklären kann. Klubzwang war einmal. Die NEOS haben ihn nicht, lebten ihn aber bisher.

Die freie Abstimmung würde auch den Spin, der von der ÖVP gepflegt wird, beseitigen, wonach ein Misstrauen gegen Bundeskanzler Kurz auch den Bundespräsidenten desavouieren würde. Die Bedeutung des Nationalrates auf Verfassungsebene ist dem Bundespräsidenten gleichzusetzen wenn nicht sogar vorzusetzen.

Wenn Kurz die Mehrheit der Abgeordneten hinter sich versammeln kann – gut. Kann er das nicht – auch gut. Das ist Demokratie, keine Staatskrise.

Wie sich das auf die Nationalratswahl im September auswirken wird, ist derzeit unabsehbar, und für diese Entscheidung auch irrelevant. Erst die Verknüpfung beider Entscheidungen würde Staatsräson und Wahlkampf verbinden, und das sollte unterbleiben.

Diesem Diktum könnte sich übrigens auch der Bundeskanzler unterwerfen. Wenn er vor der Abstimmung im Nationalrat als Bundeskanzler zurücktritt, geht der Misstrauensantrag ins Leere.

Damit würde Kurz seinem Gelöbnis vor dem Bundespräsidenten entsprechen – und seine Wahlchancen verbessern. Staatsräson UND Wahlkampf, quasi…