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Erstellt am 29.08.2022

Wien Energie – es regiert Ahnungslosigkeit

von Reinhard Göweil

Der immense Kapitalbedarf der Wien Energie hat den Blick vom Gas- hin zum Strompreis gelenkt. Faktum ist, dass die Wien Energie an der europäischen Strompreisbörse EPEX um mindestens acht Milliarden Euro Strom zu einem definierten Zeitpunkt und zu einem bestimmten Preis gekauft hat, in der Erwartung, dies zu einem höheren Preis loszuschlagen. Mit dem Gewinn daraus könnten Kunden der Wien Energie, also zwei Millionen Haushalte und 240.000 Unternehmen Rabatte erhalten.

Daraus wird nun nix, denn zum festgelegten Zeitpunkt spielte die Strompreisbörse verrückt. Nun musste die Wien Energie 1,8 Milliarden Euro nachschießen, um die Verträge zu verlängern. Sollte dies nicht der Fall ist, wird die Forderung eingeklagt und die Wien Energie wäre pleite. Soweit der wirtschaftliche Vorgang. Das passiert nicht, der Bund sprang natürlich aus Selbstschutz ein. Und die ÖVP, FPÖ und Grüne werden daraus genüßlich politisches Kapital schlagen, nach dem Motto: Schaut her, die Sozis haben es wieder versemmelt. Der Vergleich zum Salzburger Finanzskandal, der Anfang 2013 zum Rücktritt des damaligen Finanz-Landesrates (SPÖ) und danach zur Abwahl der Landeshauptfrau Gabi Burgstaller von der SPÖ führte.  

Nun zur Wien Energie selbst, die zu 100 Prozent im Eigentum der Stadt Wien steht. Sie hatte bereits 2021 ordentlich gezockt, bei Umsatzerlösen bei knapp über drei Milliarden wurden mehr als vier Milliarden kurzfristige Schulden aufgenommen. Deren Zweck: „Der signifikante Anstieg der kurzfristigen Verbindlichkeiten resultiert hauptsächlich aus der stichtags-bezogenen Bewertung von Strom- und Gasderivaten, welche die internationalen Verwerfungen auf den Energiemärkten widerspiegelt. Damit verbunden kam es zu höheren Variation-Margins…“ – steht es im Jahresbericht 2021 der Wien Energie.

Nun hat das Zocken ein Ende, und was war die Folge? Peter Weinelt, Aufsichtsratspräsident und Vorstand der Wiener Stadtwerke sagte in Ö1 unter anderem: „Die Märkte funktionieren nicht. Die Wien Energie macht per definitionem keine Spekulation“.

Und weiter: „Es gibt Marktsteigerungskräfte, die wir nicht beeinflussen können. Preise spielen sich an Börsen ab. Wir aber wollen die Preise für Kunden nicht noch einmal erhöhen.“

„Die Entwicklung am Freitag zeigte, da gibt es Instrumente, die an Börsen üblich sind, um den Handel auszusetzen. Leerverkäufe etwa. Das ist Aufgabe der Aufsicht. Wir können das nicht beeinflussen.“

Allein dieser Satz macht ihn rücktrittsreif, denn als Vorstandsmitglied der Wiener Stadtwerke, der monatlich mehr als der Bürgermeister (18.000 Euro) verdient, kann man verlangen, über die Märkte Bescheid zu wissen. Etwa, was sich an der Leipziger/Pariser-Strombörse EPEX/EEX abspielt. Denn die ist

1.       keine Börse mit staatlicher Aufsicht, sondern gehört Unternehmen, die dort machen was sie wollen.

2.       Leerverkäufe gibt es, weil die an der EPEX beteiligten Banken damit Geschäft machen.

3.       Handelsaussetzungen gibt es in solchen Systemen grundsätzlich nicht.

4.       Wien Energie hat spekuliert.

All das weiss der Aufsichtsratspräsident der Wien Energie offenbar nicht, oder er hat sich im Ö1-Gespräch stark selbst verleugnet. Da es sich um ein Unternehmen in öffentlichem Eigentum handelt, stellt sich die Frage, ob beides als Qualifikation ausreicht. Dasselbe gilt für die operative Geschäftsführung der Wien Energie, die mit Milliarden jongliert, die keine Kapitaldeckung haben. Und es gilt auch für den Eigentümer: Die Stadt Wien und der zuständige Stadtrat Peter Hanke müssen sich die Frage gefallen lassen, wie es mit dem sorgsamen Umgang mit öffentlichen Mitteln ausschaut.

Zum System: Die Strompreisbörse EPEX oder EEX, wie sie auch in Medien genannt wird, ist keine Börse im herkömmlichen Sinn. Sie ist schlicht ein Marktplatz von großen Produzenten und Banken. Das Wort „Börse“ ist Camouflage, um Seriosität zu vermitteln. Faktisch ist es Wilder Westen, ähnlich anderen vollständig ungeregelten Marktplätzen im Rohstoffbereich (siehe FN-Artikel auf Website). Über diese Börse werden etwa 20 Prozent des Strombedarfs gehandelt. Der große Rest wird daneben von denselben Stromproduzenten in bilateralen Verträgen zu unbekannten Preisen verkauft.

Die Politik hat dem sorglosen Treiben lange zugeschaut, jetzt sollte endlich Schluss sein. Entweder es gibt regulierte Börsen, die strengen gesetzlichen Normen zu folgen haben, oder es gibt staatliche Preise. Dazwischen gibt es bei Energie und allen Rohstoffen im Moment offensichtlich keinen Platz.

Denn die Wien Energie ist nicht nur ein sehr großer – vielleicht patscherter – Kommunalversorger. Der maximale Kapitalbedarf könne sich auf sechs Milliarden Euro erhöhen, das ist aber unwahrscheinlich. Wien Energie bzw. dessen Berater werden versuchen, aus einem Teil der Verträge möglichst glimplflich auszusteigen. Dazu sind Verhandlungen mit dem „Counterpart“, also dem Vertragspartner, notwendig. Ob das alles ohne bleibende Verluste abgeht, kann niemand abschätzen derzeit.

Und es werden andere und kleinere Kommunalversorger folgen – auch in Deutschland, wo für diese ein eher löchriger Schutzschirm gespannt wurde. Die Schere zwischen Produzentenpreis und Verbraucherpreis ist nun auch bei Strom zur bedrohlichen Bürde für Versorger geworden, die wenig Eigenstrom erzeugen.

 

Der Artikel wurde am 30. August um 9 Uhr 47 aktualisiert.